Sergio & Sergei

Von Marina Wahl

Der kalte Krieg ist eine Thematik mit der sich ein großer Teil der Weltbevölkerung nur selten beschäftigt. Der Film „Sergio & Sergei“ von Ernesto Daranas nimmt sich mutig und humorvoll der Geschichte an und projiziert das Ende des Krieges auf drei repräsentative Männer: Im Fokus stehen der Kubaner Sergio, der Russe (UdSSR-Bewohner) Sergei und der – in Amerika lebende – Peter. Die drei kommunizieren über Funk, wobei Sergio der Dreh und Angelpunkt des Filmes ist. Peter und Sergei haben unterdessen keinen Kontrakt miteinander. Das Werk befasst sich mit den Auswirkungen des Zusammenbruchs der UdSSR, die auch in Kuba zu spüren waren. Sergio ist von diesen besonders getroffen, doch der Cosmonaut Sergei ist das Sorgenkind des Films. Russland besitzt nicht die Mittel um ihn aus dem All zurück zu holen. So spielt neben den Auswirkungen des Zusammenbruchs der UdSSR noch die Entwicklung einer engen Freundschaft eine entscheidende Rolle.

Eine emotionale Fallhöhe wird mit den Ereignissen im Weltall erschaffen. Als Zuschauer ist die gesamte Problematik der Situationen bekannt. Dies wird durch die Erzählstruktur erklärt, denn die Geschichte – welcher in dem Film gefolgt wird – liegt auch für die Protagonisten 25 Jahre zurück. Die Tochter von Sergio dient dabei als Erzählerin, die den Zuschauer so über alle verschiedenen Sichten informiert.

Aus der technischen Sicht ist der Film gelungen. Die Szenen im All sind stimmig und mit viel Hingabe bearbeitet worden. Gerade die familiären Bande und ihre Wichtigkeit für die Protagonisten wird in jeder Szene berücksichtigt. Um das Werk aufzulockern, gibt es einige humoristische Einlagen eines Kubaners, der Sergio als Verräter und Verschwörer darstellen möchte. Durch die Darstellung des Charakters wird die Szenerie aufgelockert – es fühlt sich leicht an, der Thematik zu folgen.

Unterstützt wird dies durch die grandiose Nutzung der Musik, die die Szenen sowohl unterstützt als auch unterstreicht. So wird an keiner Stelle versucht, die instrumentalen Klänge zwanghaft in den Vordergrund zustellen. Anders wird mit den Liedern des Films gespielt. Sobald der Gesang ertönt, steht dieser im Vordergrund. Er ist jedoch als Akzent gesetzt, sodass das Gesamtbild des Films stimmig erscheinen lässt..

Die schauspielerischen Leistungen innerhalb des Werkes sind nicht zu verdenken. Nur zwei Frauen vermissen ihre charakterliche Tiefe, doch die drei Herren, die Tochter und die Mutter von Sergio überzeugen in ihren Rollen. Die Besetzung schafft es, den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen, so dass sich die rund 93 Minuten Laufzeit nicht wie solche anfühlen. Viel mehr „Sergio & Sergei“ hinterlässt gar das Gefühl, dass man sich noch lieber einige Minuten mehr angesehen hätte, nur um sich noch nicht von der Leichtigkeit der Charakter trennen zu müssen.

Sergio & Sergei, Canada, 2017, Drama, Ernesto Daranas, 93 Minuten, Tomás Cao, Héctor Noas, Ron Perlman, FSK ?.

Stell Dir vor, Du müsstest fliehen! (Jimmie)

Von Marina Wahl

Lieber ein Schrecken mit Ende, als ein Schrecken ohne Ende. Der Film „Jimmie“ von Jasper Ganslandt kann mit diesen Spruch aufgegriffen werden. Er handelt von einer fiktiven Fluch eines schwedischen Jungen aus seinem im Krieg stehenden Heimatland, Schweden. Innerhalb des Werkes werden die konkreten Umstände für den Krieg nicht näher beleuchtet. Allerdings soll dieser kriegerische Konflikt nicht den Mittelpunkt der Handlung bilden. Der Fokus liegt auf der Flucht von Jimmie, gespielt von Hunter Louis Ganslandt, und seinen Erlebnissen, die er während dieser erlebt. Die Handlung kann mit jeden Konflikt der jüngeren Geschichte in Einklang gebracht werden. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass auf der Webseite vom Filmfest Osnabrück steht: „Ist das Mitgefühl größer, wenn die Gesichter der Hilfesuchenden weiß sind?“ Daher wirft sich auch die Gegenfrage auf: Ist es rassistisch, wenn dieser Film nicht zu den Meisterwerken ihrer Zeit gezählt wird?

Der Film kann als ein zweischneidiges Schwert bezeichnet werden: Gar jede Komponente – Kameraführung, Handlung, Musik – weist ihre Stärke auf, die sie jedoch im selben Moment durch eine gravierende Schwäche überdeckt. Die Kameraführung ist hektisch, verwackelt und an vielen Stellen unscharf. Als stilistisches Mittel angedacht, um die Sicht und Gefühle des Jungen auf den Zuschauer zu übertragen, werden Minuten mit diesen Einstellungen gefüllt. Es ist kompliziert, gar unangenehm dem Film aufmerksam zu folgen. In diesen Momenten verliert Jimmie den Zuschauer. Noch einmal unterstrichen wird es dadurch, dass es durch die unhandlichen Kameraeinstellung schier unmöglich erscheint, den Ziehvater von Jimmie von dem „leiblichen“ Vater zu unterscheiden. Jedoch weist die Kamera auch ihre Stärken auf: So liegt der Fokus stets auf den Gesichtern der jeweiligen Figur. In solchen Momenten hat „Jimmie“ seine wenigen guten und eindrucksvollen Momente. Der Junge wächst dem Zuschauer schnell ans Herz; die Verzweiflung, als er seinen Vater auf der Flucht verliert, ist greifbar. Die restlichen Figuren verblassen neben den schauspielerischen Leistungen des Vierjährigen, der mit eindrucksvollen Gesichtsausdrücken seine Verzweiflung, Angst und auch Unwissenheit preisgibt.

Da der Film die Sicht des Jungens wiedergibt, weiß der Zuschauer meist nur so viel, wie der Protagonist. Dies erweist sich an vielen Stellen als problematisch: Die Handlung des Films folgt keiner Chronologie, sondern ist durch viele harte Schnitte zerstückelte. In der einen Minute befindet sich Jimmie in den Händen einer uns unbekannten Familie, einen Schnitt später ist er mit seinem Vater in einem Grasfeld zu sehen. Schnell hat sich ein Gefühl des „Wusste der Regisseur sicher, welchen Auftrag er hier dem Schnitt erteilte?“ eingestellt, welches durch einen Kommentar der Produzentin noch einmal unterstützt wurde: Der Film, in seiner Gänze und seiner Handlung, sei erst im Schnitt entstanden. Dies ist dem Film anzumerken. Und so bildet sich zum Schluss nur ein Gedanke: Der Film ist ein Schrecken mit Ende, obwohl er eine Thematik aufweist, die zumeist für die Betroffenen ein Schrecken ohne Ende ist.

Jimmie, Schweden, 2018, Drama, Jesper Ganslandt, 91 Minuten, Hunter Ganslandt, FSK ?.

Stell Dir vor, Du müsstest fliehen! (Jimmie)

„Stell Dir vor, Du müsstest fliehen“ liefert den Versuch der Rekonstruktion einer Flüchtlingsgeschichte und fokussiert dabei auf den Blickpunkt eines vier-jährigen Kindes. Der Film präsentiert damit eine sehr aktuelle Thematik, wagt sich aber mit seiner Darstellung in ein sehr holpriges Terrain.

Im heutigen Schweden herrschen Krieg und Zerstörung. Die Handlung folgt einem jungen Vater (Jesper Ganslandt) und seinem kleinen Sohn Jimmie (Hunter Ganslandt), aus dessen Sicht wir die Geschehnisse erleben. Bomben fallen auf die Städte nieder, Passanten müssen sich vor Schüssen in Sicherheit bringen und Familienmitglieder kommen nicht mehr nach Hause – so auch Jimmies Mutter vor Beginn der Erzählung. Infolgedessen entscheidet sich der Vater dazu, zusammen mit Jimmie aus dem Land zu fliehen. Begleitet werden sie zeitweise von anderen Flüchtenden auf dem Weg Richtung Süden, wobei der Junge sogar eine Zeit lang von seinem Vater getrennt wird und mit einer anderen Familie seine Reise fortsetzt. Im Verlauf ihrer Flucht begegnen sie noch weiteren Komplikationen und müssen sich mitunter der ausländischen Grenzpolizei und randalierenden Jugendlichen stellen.

Im Film sehr schön dargestellt wird die Vater-Sohn-Beziehung der Protagonisten. Berührende Szenen zeigen Jesper Ganslandt, der trotz der anstrengenden Strapazen und des umgebenden Krieges stets darum bemüht ist, die Kindheit seines Jungen zu bewahren und ihn vor Unheil zu beschützen. Kleine Spiele und Gute-Nacht Geschichten werden in den Alltag der Flucht eingebaut und bieten kurze Sequenzen der Harmonie inmitten des Dramas. Die kurzen Momente des Friedens weichen dennoch der Bedrückung, wenn Jimmie beispielsweise nach seiner Mutter fragt und sein Vater ihm versichert, sie warte auf ihn in ihrer neuen Heimat. Auf diese Weise wird veranschaulicht, dass das Kind die grausame Realität noch nicht nachvollziehen kann.

Gefilmt wird die Geschichte aus den Augen des Kindes und lässt auch die Zuschauerinnen und Zuschauer in diese Rolle schlüpfen.  So wirken manche Szenen durch die laute Geräuschkulisse und die schwenkenden Kameraaufnahmen daher schier überwältigend, während die nicht-lineare Erzählweise der Geschehnisse zu zeitweiliger Desorientierung führt. Auch fällt es auf dieser Weise schwer, den Ereignissen zu folgen und gewisse Protagonisten voneinander zu unterscheiden, da zudem nicht genauer auf die einzelnen Figuren eingegangen wird. Es wird sehr deutlich, dass sich „Stell Dir vor, Du müsstest fliehen“ bemüht, unkonventionell zu sein, doch genau dieser Versuch schadet dem Film letztendlich.

Stell dir vor du müsstest fliehen (Originaltitel: Jimmie). Regie: Jesper Ganslandt. Drama. Schweden 2018: Fasad AB. 91 Minuten.

Sergio & Sergei

Kubanischer Kunstdozent mit Abschluss in marxistischer Philosophie trifft auf sowjetischen Astronauten der Mir-Raumstation – Eine äußerst interessante Figurenkonstellation und ein unterhaltsamer Blickwinkel auf den Kalten Krieg werden in Ernesto Daranas‘ Drama „Sergio und Sergei“ geboten.

Die Sowjetunion ist zerfallen und auch Kuba hat unter den Folgen des Zusammenbruchs der UdssR zu leiden. Das Geld ist knapp, der Alkohol verboten und die Arbeit nicht erfüllend. Letzteres zumindest für den gebildeten Kunstdozenten Sergio (Thomás Cao), dessen eigentliches Fachgebiet Marxismus ist, was er zu Jugendzeiten in Moskau studiert hat. Um das Essen auf den Tisch zu bringen und für Tochter Mariana (Ailín de la Caridad Rodriguez) zu sorgen, wird die Küche der Familie deshalb schnell zur Rumdestille umfunktioniert und Großmutter Caridad (Ana Gloria Buduén) übernimmt wieder ihre alte Tätigkeit als Zigarrenrollerin. Gleichzeitig unterhält Sergio mithilfe eines urzeitlichen Funkgerätes aus dem zweiten Weltkrieg Kontakte zum amerikanischen Verschwörungstheoretiker Peter (Ron Perlman) und wird aufgrund dessen von der kubanischen Bürokratin Lía (Yuliet Cruz) und ihrem Handlanger Ramiro (Mario Guerra) überwacht, die auf witzige Art und Weise das kommunistische Regime Kubas wiederspiegeln.

In der Zwischenzeit sitzt der russische Astronaut Sergei (Héctor Noas) auf der Mir fest, da die unruhige Situation innerhalb seines Landes keine Bergung von der Raumstation zulässt und auch die finanziellen Mittel für die Unternehmung fehlen. Durch Zufall kommen er und Sergio nun auch via Funk ins Gespräch und schnell entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden Männern, die erkennen, dass sie einige Gemeinsamkeiten verbinden.

„Sergio und Sergei“ liefert eine sehr ungewöhnliche Storyline, die sich in Bezug auf Raumfahrer Sergei an tatsächlichen Begebenheiten orientiert. Die Schicksale der beiden Protagonisten, die trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und Lebenssituationen miteinander verknüpft sind, zeigen die Auswirkungen des Kalten Krieges auf beide Nationen. Auch eine Anspielung auf den Machtstreit zwischen den USA und der Sowjetunion wird durch das etwas kuriose, aber dennoch amüsant gestaltete Ende  angedeutet.

Zwischen den einzelnen Szenen zeigen malerische Bilder die Dächer von Havana und die Weiten des Weltalls. Im Hintergrund ertönt laute kubanische Tanzmusik, während Sergios Familie Zuhause eine Fiesta feiert. Auch durch solche kleinere Sequenzen wirkt die Gestaltung des Films durchgängig authentisch. Vor allem wird dies aber durch den Einsatz der Originalsprachen Russisch, Spanisch und Englisch erreicht, aber auch durch die schauspielerische Leistung der Darsteller. Diese vermitteln die ernste Thematik des Filmes mit Humor ohne dabei von den emotionalen Aspekten der Handlung abzulenken.

 Sergio und Sergei. Regie: Ernesto Daranas. Drama. Kuba 2018: Instituto Cubano del Arte e Industrias Cinematográficos (ICAIC). 93 Minuten.

Inventing Tomorrow

Verdreckte Straßen, versmogte Luft, zugewucherte Seen und bräunliche Brühe, die das Meer überschwemmt. Die Bilder, die in Laura Nix‘ Dokumentarfilm „Inventing Tomorrow“ gezeigt werden, schockieren, doch man wird dennoch begeistert durch das unglaubliche Engagement, das die jungen Forscher und Forscherinnen im Kampf gegen die Umweltprobleme an den Tag legen.

Die Schülerinnen Nuha Anfaresi und Intan Putri arbeiten an der Entwicklung eines Wasserfilters, der die Verschmutzung an der Küste der indonesischen Insel Bangkas durch den Zinnabbau stoppen soll. Der 16-jährige Jared Goodwin aus Hilo, Hawaii untersucht Erdproben auf den Gehalt des giftigen Stoffes Arsen, der Jahre zuvor durch zwei Tsunamis in einem weitläufigen Gebiet verteilt wurde. Im indischen Bangalore führt Sahiti Pingali Messungen an den umliegenden Seen vor, die durch die Müll- und Abwasserentsorgung der Metropole vollständig kontaminiert wurden. In Monterrey, Mexiko entwickeln Jose Elizalde, Fernando Sanchez und Jesus Martinez unterdessen eine Art Keramikfarbe, welche Bestandteile von Luftschadstoffen neutralisiert und den Smog der Industriestadt somit eindämmen könnte.

Begleitet werden die Jugendlichen von der Vorstellung ihrer wissenschaftlichen Projekte bis hin zur ihrer Teilnahme an der Intel ISEF (kurz für Intel International Science and Engineering Fair) in Los Angeles, wo sie gemeinsam mit über 1800 jungen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Welt ihre Forschungen und Ergebnisse präsentieren.

Der Film fokussiert dabei nicht nur auf die dargestellten Umweltprobleme, sondern gibt auch kleine Einblicke in das Leben, das Umfeld und die individuellen Probleme der Mädchen und Jungen. Durch die sehr persönliche Erzählweise, welche, ungewöhnlich für das Genre des Dokumentarfilms, komplett auf ein „Voice-Over“ verzichtet, kann man sich als Zuschauerin oder Zuschauer besser in das Geschehen hineinversetzen und mit den Protagonisten mitfühlen. Aufregung entsteht somit beispielsweise, wenn sich die jungen Forscher*innen auf den Wettbewerb bei Intel ISEF vorbereiten oder mit Sprachbarrieren während ihrer Präsentationen zu kämpfen haben.

Auch schließt „Inventing Tomorrow“ nicht mit der Preisverleihung am Ende der Veranstaltung ab, sondern gibt noch einen Ausblick in den weiteren Werdegang aller Jugendlichen, wodurch das Gesamtbild des Films schön abgerundet wird. Eine äußerst gelungene Dokumentation, die sowohl Informationen, als auch Emotionen vermittelt.

Inventing Tomorrow. Regie: Laura Nix. USA 2017: Fishbowl Films. Dokumentarfilm. 104 Minuten.

Inventing Tomorrow

Kinder aus verschiedenen Ländern und Kontinenten kreieren innovative und umweltbewusste Projekte, um damit an der Internationalen Messe für Wissenschaft und Technik, der „Intel International Science and Engineering Fair“ (ISEF), teilzunehmen und so zur Rettung des Planeten beizutragen. Der Film der US-amerikanischen Regisseurin Laura Nix dokumentiert diese sehr erstaunlichen Projekte.

Der Dokumentarfilm ist in zwei Teile gegliedert, von denen sich der erste auf die Hintergrundgeschichten und kreativen Unternehmungen seiner Protagonisten konzentriert. Diese sehen sich in ihrer Umgebung jeweils mit einer ganz erheblichen Umweltverschmutzung konfrontiert. In Bangalore, Indien, nimmt zum Beispiel der 16-jährige Sahithi Proben von den Seen des Gebietes. Diese Seen sind so verschmutzt, dass sie nahezu vollständig von giftigem Schaum bedeckt sind, der oft in die Straßen und auf ahnungslose Fußgänger weht. Oder die Jugendlichen Jesus, Jose und Fernando, die unterdessen besorgt sind über die Luftverschmutzung ihrer mexikanischen Heimatstadt Monterrey.

Die Lösungen der Jugendlichen für diese Probleme sind schlau und einfallsreich, sei es eine photokatalytische Farbe von Jesus, Jose und Fernando, die Smog in ungiftige Elemente verwandeln kann, oder die von Sahithi entwickelte homemade App zur Analyse von Schadstoffen.

Die Porträts der Teilnehmer sind prägnant und überzeugend, allerdings nicht sehr tiefgehend. Abgesehen von ein paar kurzen Interaktionen mit Gleichaltrigen und Eltern, die ihre wirtschaftlichen Hintergründe und besonderen Dilemmas vermitteln, gibt es kein größeres Gefühl dafür, wer diese Jugendlichen eigentlich genau sind. Zudem würden die Zuschauer nur allzu gerne erfahren, wie die Jugendlichen überhaupt herausgefunden haben, auf welche Art und Weise man das jeweilige Problem mit einer speziellen sowie angemessenen Lösung angehen kann.

Die geringe Tiefe des Films ändert sich jedoch erheblich, sobald er im zweiten Teil auf die riesige und multikulturelle ISEF in Los Angeles eingeht. Hier dokumentiert er ausführlich die multisprachlichen Dialoge der aus ganz unterschiedlichen Ländern stammenden Jugendlichen und den damit verbundenen interkulturellen Austausch von Ideen und Erfahrungen. Es wird deutlich, dass sich dadurch das soziale sowie wissenschaftliche Bewusstsein der Beteiligten entwickelt und breiter wird.

Die Jugendlichen bekämpfen sowohl große, im Zusammenhang mit der ISEF stehende nervliche Anspannungen, als auch erhebliche Sprachbarrieren. Dabei wird die Fragestellung, wer von den Jugendlichen schließlich gewinnen und wer von ihnen verlieren wird, letztlich so etwas wie ein nur recht unbedeutender und bloß nachträglich berücksichtigter Aspekt dieser Dokumentation.

Akademischer Ehrgeiz bringt nicht nur dem einzelnen Menschen etwas, sondern vielmehr auch der ganzen Welt um ihn herum. Die Art und Weise, wie diese Botschaft vermittelt wird, ist zwar nicht neuartig, gibt dem Zuschauer aber zumindest etwas Hoffnung für die Zukunft. „Inventing Tomorrow“ gewinnt sicherlich keinen Preis für Originalität, der jugendliche Einfallsreichtum und die innovativen Ideen sind dennoch sowohl unterhaltsam als auch inspirierend.

 

Inventing Tomorrow, USA 2018, Dokumentarfilm, Laura Nix,104 Minuten

Stiller Kamerad

Hinter dem Titel „Stiller Kamerad“ verbirgt sich ein beeindruckender Dokumentarfilm. Leonhard Holtmann verfilmt hier eine ungewöhnliche, wie innovative Methode, um Soldaten mit Posttraumatischen Belastungsstörungen (kurz PTBS) zu heilen: Mit der Hilfe von Pferden!

Die PTBS ist eine der häufigsten Diagnosen für Soldaten und Soldatinnen, die in Krisengebieten stationiert waren. Der Frage, wie man am besten damit umgeht, ging der Regisseur Leonhard Holtmann nach und stieß dabei auf die beeindruckende Methode der Pferdetherapie.

Um den Zuschauern diese Methode näher zu bringen, begleitet er über zwei Jahre lang die beiden Soldaten Oliver und Roman sowie die Soldatin Mandy auf ihrem Weg zur Heilung. Alle drei Patienten haben eines gemeinsam: Sie alle haben im Krieg Schlimmes gesehen und erlebt. Erlebnisse, die sie nun nicht mehr in Ruhe lassen und sie noch heute in Panik versetzen. Mandy zum Beispiel war als Sanitäterin im Kosovo tätig und berichtet uns von einem besonders einschneidenden Erlebnis, dessen Bilder sie nicht mehr aus dem Kopf und dessen Geruch sie nicht mehr aus der Nase bekommt. Sie erzählt von einem verstörenden Massengrab, in dem unzählige Frauen und Kinder lagen.

Hier auf dem Bauernhof, fernab der Stadt und mithilfe der Pferde, die Köpersprachen-Experten sind, wie wir gleich am Anfang des Filmes lernen, soll ihnen also geholfen werden.  Sie werden hier unter anderem bewusst Situationen ausgesetzt, die bei ihnen Angst auslösen. So hören wir zum Beispiel mitten am Tag eine Sirene, die Oliver an die Taliban-Angriffe erinnert und es ist faszinierend zu beobachten, wie er sichtlich geschockt und allein durch den Kontakt zu einem Pferd, seinem stillen Kameraden, beruhigt wird.

Die Dokumentation ist auch deshalb so gelungen, weil sie absolut authentisch rüberkommt und die Protagonisten ehrliche Ziele verfolgen. Da wäre der Regisseur, der auch gleichzeitig der einzige Kameramann ist, um die Sitzungen nicht zu sehr zu stören, die Soldaten/innen, die ihr Inneres vor laufender Kamera preisgeben, um Kameraden auf diese wirksame Therapie aufmerksam zu machen und nicht zu vergessen die Therapeutin, die eine ganz besondere Beziehung zu ihren Pferden pflegt und der das Wohl ihrer Mitmenschen sichtlich am Herzen liegt.

So ist diese 90-minütige Dokumentation durch tiefe Emotionen geprägt und erweckt beim Zuschauer den Wunsch, dass sie etwas bewirkt und die Bundeswehr diese leider sehr teure Art von Trauma-Behandlung anerkennt, um weiteren Betroffenen wirksam helfen zu können.

 

Stiller Kamerad, Babelsberg, 2017, Dokumentation, Leonhard Holtmann, 88 Minuten

Sergio & Sergei

Ein kubanischer Amateurfunker und ein gestrandeter Kosmonaut werden die besten Freunde. Was unrealistisch klingt, wird vom kubanischen Regisseur Ernesto Darans ernsthaft, aber auch mit einer humoristischen Note umgesetzt und beruht, zumindest teilweise, sogar auf einer wahren Begebenheit.

Sergio and Sergei

Wir schreiben das Jahr 1991 und befinden uns mitten im kalten Krieg. Sergio (Tomas Cao), Amateurfunker und Philosophieprofessor, könnte ein glückliches Leben innerhalb seiner liebevollen Familie führen, wären da nicht die finanziellen Probleme, die sie langsam verzweifeln lassen. Als Zuschauer fühlt man vor allem mit der niedlichen kleinen Tochter (Dyna Posada) mit, für die teilweise nicht einmal Milch gekauft werden kann. Dies zwingt Sergio und seine Mutter dazu, durch immer fragwürdigere und riskantere Methoden an Geld zu kommen.

Der Perspektive ungewiss, flüchtet sich Sergio nur allzu gerne aus seiner Problemwelt und kommt seinem Hobby nach, dem Amateurfunk. Wie der Zufall es will, bekommt er eines Tages tatsächlich Kontakt zum sowjetischen Kosmonauten Segei Krikalev (Hector Noas). Dieser schwebt als letztes Besatzungsmitglied der „Mir“ einsam in der Raumkapsel umher und muss die Auflösung seines Landes aus dem Weltall mitansehen. Aber nicht nur das, Techniker der „Mir“ werden nicht länger bezahlt, an allen Enden fehlt es an Geld und so richtig fühlt sich keiner mehr für ihn verantwortlich. Die letzten verbliebenen Kollegen machen Sergei wenig Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zur Erde. So kommt es zur ungewöhnlichen Freundschaft eines Astronauten und eines Amateurfunkers. Wenn die beiden zusammen sind, scheinen die Probleme lösbar, sie geben sich von Anfang an gegenseitig Hoffnung und lachen viel.

Um die Möglichkeiten auszuloten Sergei aus seiner misslichen Lage zu befreien, berät sich Sergio mit seinem Amaterfunkerfreund Peter (Ronald Perlman), der in den USA verweilt und gute Kontakte pflegt. Die Funkgespräche in die USA bleiben allerdings auch der kubanischen Regierung nicht verborgen, die hier eine große Verschwörung wittern. Lia (Yuliet Cruz) und Ramiro (Mario Guerra) bilden hier eine Art humoristisches Duo das den Zuschauer nicht nur einmal herzlich zum Lachen bringt. Dieser Storystrang ist als reine Satire und als Kritik am kubanischem Regime zu verstehen.

Durch die Verwendung der Originalsprachen (Spanisch, Russisch, Englisch) kommt der Film unglaublich authentisch rüber und macht es den Zuschauer so einfach, Mitgefühl mit den jeweiligen Protagonisten zu empfinden. Die Musik wird intelligent eingesetzt und lässt so auch die ernsteren Szenen immer noch ihren Witz behalten.

Leider hat man das Gefühl dem Film geht gegen Ende die Puste aus. Manche Fragen bleiben bis zum Schluss unbeantwortet und die Story driftet zum Teil fast schon ins Lächerliche ab. Dennoch bietet Sergio & Sergei eine tolle Unterhaltung und schafft es ein schwieriges und ernstes Thema unterhaltsam und mit einzigartiger Story auf die Leinwand zu bringen.

Sergio & Sergei, Kuba, 2017, Drama, Ernesto Darans, 93 Minuten

Filmkritik: 12 Years a Slave

Von Neele Bahr

Die Geschichte von Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) und seine Erfahrungen mit der Sklaverei, die in dem Film „12 Years a Slave“ nachgestellt wurde, sind keineswegs fiktiv: Zwischen 1841 und 1853 durchlebte der eigentlich freie Mann einen zwölf Jahre andauernden Albtraum.

Nach einem Auftritt in Washington findet sich der freie Afroamerikaner und Geigenspieler Solomon gefesselt in einem düsteren Raum wieder. Schockiert stellt er fest, dass er über Nacht in die Sklaverei verkauft wurde. Unter Schlägen wird er dazu angehalten, seine Identität als freier Bürger aufzugeben und die des entlaufenen Sklaven ‚Platt‘ anzunehmen. Seine zwei Kinder und Frau muss er hinter sich lassen. So arbeitet der Mann zwölf Jahre lang als Sklave auf diversen Plantagen, baut Zuckerrohr oder Baumwolle ab während Work-Songs gesungen werden.

Durch eine Mischung aus Rückblenden, Erinnerungen und dem Geschehen im ‚jetzt‘ schafft es der Regisseur Steve McQueen, dem Zuschauer jegliches Gefühl für Zeit zu nehmen und gleichzeitig die Lage Solomons zu untermalen. Es scheint, als hätte auch er dieses auf seiner Reise verloren. So kommt auch das Ende des Films fast zu plötzlich, trotz einer Gesamtlänge des Films von über zwei Stunden. Dagegen dauert ein Moment länger und scheint, als würde er niemals enden: Nachdem Solomon sich gegen einen der Aufseher verteidigte, wird er an einem Baum gehängt. Im Hintergrund ist die übliche Szenerie der Plantage zu sehen, Kinder spielen und schreien, während andere Sklaven ihren Aufgaben nachgehen. Begleitet wird die Szene durch das Zwitschern von Vögel, Zirpen von Zirkarden und dem Platschen der verzweifelten Versuche Solomons, endlich Halt auf dem schlammigen Boden zu finden. Scheinbar Minutenlang ist der Zuschauer dieser Szene ausgeliefert, die einfach nicht enden will.

Weitere Szenen dieser Art folgen, die oftmals beinah idyllisch wirken. Die Totalansicht zeigt blühende Felder und über ihnen den strahlend blauen Himmel, nur durch immer wiederkehrende Gewalt wird dieser Eindruck unterbrochen: Aufseher sitzen auf dem Rücken von Pferden und schlagen aus ihrer erhöhten Position auf die unter ihnen arbeitenden Sklaven ein, während diese weiterhin singen. In solchen Szenen kann eine Unterteilung der Charaktere in die polaren Kategorien ‚gut‘ und ‚böse‘ scheinbar problemlos vorgenommen werden. Als aber Solomon eine andere Sklavin, Patsy (Lupita Nyong’o), anstatt seines Herren auspeitschen soll, verwischt diese Grenze zwischen den Kategorien. Das Übel der Sklaverei wird dadurch jedoch nicht getrübt, sondern noch einmal unterstrichen. Jeder der Sklaven scheint auf sich selbst gestellt zu sein.

Die schauspielerischen Leistungen der Besetzung war überzeugend, ob es dabei um den grausamen Aufseher (Edwin Epps) ging, Solomon oder die Sklavin Patsy. Besonders letztere stach durch ihr herzzerreißendes Leiden aus der Masse der vielen scheinbar gesichtslosen und auswechselbaren Sklaven heraus. Für diese Rolle wurde die Schauspielerin Lupita Nyong’o verdient mit der Auszeichnung ‚Beste Nebendarstellerin‘ geehrt. Trotz – oder gerade wegen – des Leids Solomons, Patsys und weiteren Sklaven, das so schmerzhaft real dargestellt wird, ist der Film „12 Years a Slave“ empfehlenswert.

12 Years a Slave, Vereinigte Staaten, 2013, historisches Filmdrama, Steve MCQueen, 213 Minuten, Chiwetel Ejiofor, FSK 12.

Filmkritik: Ex-Pajè/Ex-Shaman

Von Neele Bahr

„Genocide kills people while ethnocide kills social cultures through the killing of the soul.“1 Bilder, die diese Beschreibung von Bartolomé Clavero illustrieren, liefert Luiz Bolognesi in seiner Semi-Dokumentation „Ex-Pajè“.

Im Jahr 1969 kam es zu einem ersten Kontakt zwischen der Außenwelt und den Paiter Surui, den Ureinwohnern eines brasilianischen Amazonasgebietes. Die Folgen von diesem Zusammentreffen waren schwerwiegend: Plötzlich standen die Ureinwohner neuen Krankheiten gegenüber, wodurch innerhalb von zwei Jahren ca. 200 der ursprünglich 750 Stammesmitglieder verstarben. Doch nicht nur ihre Körper litten unter dem neuen Kontakt, sondern auch ihre Kultur. Langsam aber sicher wurde sie durch christliche Missionen und moderne Technologien verdrängt.

Die Kamera folgt Perpera Surui, einem ehemaligen Schaman der Paiter Surui. Ehemalig daher, weil die christliche Kirche die alten Traditionen und Spiritualität als Teufelszeug bezeichneten. Um nicht von den anderen missionierten Ureinwohnern ignoriert und geächtet zu werden, entschließt sich Perpera schließlich selbst dazu, der christlichen Gemeinschaft beizutreten. An seinem Glauben hält er dennoch fest, wenn auch nur im Kreis seiner Familie und im Inneren. So fastet er und ruft Geister an, als seine Frau von einer Schlange gebissen wird und die moderne Medizin scheinbar nicht zu ihrer Heilung beitragen kann. Nichtsdestotrotz lässt ihn das Gefühl nicht los, die (Natur-)Geister verraten zu haben: Nachts kann er daher – aus Angst vor ihrem Zorn – nicht ohne Licht schlafen.

Besonders die Kameraeinstellungen und visuelle Aspekte tragen zu dem langsamen Tempo der Dokumentation bei: Es gibt nur wenige Kamerafahrten; die meisten Szenen sind aus einzelnen Aufnahmen verschiedener Perspektiven zusammengesetzt. Zudem zeigt beinah jede Einstellung eine Panoramaaufnahme, bei der immer ein Blick auf die Umgebung offen gelassen wird. Im Regenwald wird das Bild beispielsweise durch das saftige Grün der atemberaubenden Vegetation dominiert. Die Charaktere sind selten im zentralen Bereich des Bildes zu sehen, sondern eher an den Seiten oder am äußeren Rand. Im Kontrast zu diesen Aufnahmen stehen solche in einer Bank, im Supermarkt oder Krankenhaus. Anders als in den Naturszenen wirkt Perpera zwischen dem fast klinisch-kalten Weiß der Fliesen und dem künstlichen Licht deplatziert, ja fast schon lächerlich, so wie auch mit schwarzer Krawatte und weißem Hemd, dessen Ärmel dem Mann weit über die Hände reichen.

Mit dem Titel „Bester Film“ wurde „Ex-Pajè“ auf dem Internationalen Dokumentarfilm Festival „It’s all true“ 2018 in Brasilien geehrt, bei der Berlinale im selben Jahr als „Beste Dokumentation“ ausgezeichnet und bei weiteren Veranstaltungen in derselben Kategorie nominiert. Trotz dieser Ehrungen muss betont werden, dass es sich bei dem Film um eine Semi-Dokumentation handelt, bei der einem Drehbuch gefolgt wurde und Szenen dementsprechend gestellt sind. Jedoch sind alle Rollen durch Mitglieder der Paiter Surui besetzt. Im Großen und Ganzen ist der Film auch repräsentativ für andere Erstkontakte zwischen Ureinwohnern und Eroberern.

Ex-Pajè, Brasilien, 2018, Dokumentarfilm, Luiz Bolognesi, 81 Minuten, Perpera Surui, FSK ?.

1Bartolomé Clavero (2008). Genocide Or Ethnocide, 1933-2007: How to Make, Unmake, and Remake Law with Words. Giuffrè Editore. p. 100. ISBN 978-88-14-14277-2. Retrieved 28 February 2013.

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